Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie-Magazins, hat sich in einem aktuellen Artikel Gedanken über die nostalgische Verklärung des Kindes gemacht. Während einige Aspekte interessant und aus meiner Sicht zutreffend waren, habe ich mich ein wenig daran gestoßen, dass die Bewahrung des inneren Erlebnisreichtums im Grundtenor seiner Aussage als regressives Verhalten interpretiert wird.
Gerade als Philosoph sollte man Neugier ebenso zulassen können, wie analytisches Denken. Sicherlich fliegt uns das Staunen als Erwachsener nicht mehr so zu, wie es als Kind einmal der Fall waren. Nicht umsonst ist Achtsamkeit ein so populäres Thema geworden. Noch viel bedeutsamer für unser Zusammenleben ist jedoch die sozial forcierte Rationalisierung und die gesellschaftliche Abwertung jeglicher kindlicher Eigenschaften bei Erwachsenenen. Gerade in Deutschland wird ein rationales, effizientes Verhalten als Norm betrachtet. Verstärkt durch die schnellere Taktung der Arbeitswelt entsteht so eine breitflächige Unterdrückung von Eigenschaften, die kindlichem Verhalten zugeschrieben werden. Dabei wird oft vergessen, dass sich manche Menschen bspw. bewusst dazu entschieden haben Naivität zuzulassen. Wie kann ein selbst gesteuertes Verhalten regressiv sein? Als Künstler brauche ich ein offenes Herz und einen ungetrübten Blick fürs Detail. Es zeugt m.E. von Reife sich diese Eigenschaften für das größere Ganze zu bewahren und Verletzlichkeit bewusst in Kauf zu nehmen.
Eilenberger würdigt die Aufrechterhaltung von Neugier und Offenheit als Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben durchaus:
„Ein Gutteil der religiösen Weisheitslehren wie auch des vormodernen Philosophierens zielt deshalb darauf, diese urkindliche Freude am schlichten Sein im Geiste des Erwachsenen wachzuhalten.“
Allerdings unterstellt er unserer Generation ebenso ein „regressives Bedürfnis nach Urgeborgenheit und Verzauberung“. Es ist richtig, dass die Leitwerte unserer Gesellschaft Urbedürfnisse und Teilaspekte menschlicher Enfaltung unterdrücken und sich diese vermehrt in der Ratgeber-Literatur und allerlei Kompensationsabsurditäten wiederfinden. Es ist lediglich der Subtext, der mich dabei stört. Es schwingt ein Vorwurf des pathologischen mit, wenn er der Verklärung zynisch entgegnet, das Kindsein sei vielmehr geprägt von „der machtlosen Geworfenheit und angstbelegten Orientierungsarmut“. Wenn er den kleinen Menschen auf Unvermögen reduziert („Wesentliches nicht verstehen. Wesentliches nicht vermögen“). In diesen Momenten offenbart der Autor die Haltung, dass kindlich belegte Eigenschaften überwunden werden sollten. Doch zu welchem Zweck? Pathologisch relevant wird regressives Verhalten, Fühlen und Denken doch vor allem dann, wenn es wegen o.g. (vor allem der Produktivität zuträglichen) Leitbilder nicht auf natürliche und selbstverständliche Art und Weise seinen Platz in der Gesamtentwicklung eines erwachsenen Menschen findet.